Es ist so bei jeder alten Adelsfamilie: Man kennt die Nichten und Neffen bis ins zehnte Glied und zurück bis Adam und Eva. Und so ist es auch beim Muscat, der vielleicht ältesten Rebsorte der Welt. Es soll über 200 verschiedene Muscats geben, und alle verbindet ein verführerischer Duft und ein unverwechselbarer Geschmack. Wer ihn einmal gekostet hat, weiss sofort: Diese Traube, dieser Wein, sie gehören zur Familie oder halt eben nicht. Und noch etwas: Es gibt keinen Wein, der so unverschämt selbstbewusst nach den reifen Trauben schmeckt, aus denen er gekeltert wurde, wie ein Muscat, egal ob er trocken oder süss, alkoholreich oder -arm, still oder perlend ausgebaut wurde. Die alten Römer nannten ihn uva apiana, Bienentraube, weil auch diese naschhaften Insekten sie unwiderstehlich fanden. Wir nennen sie etwas weniger poetisch nach den ebenso naschhaften Fliegen, italienisch mosche.
An den kommenden Festtagen gehört die Bühne einem ganz besonders berühmten Vertreter dieser Familie, dem Moscato d’Asti. (Warnschild, nicht Asti Spumante!). Bei der Gärung wird sein Zucker nicht vollständig in Alkohol gewandelt, so bleibt er leicht süss, ich würde sogar sagen unergründlich süss, denn die Süsse verbindet sich mit dem betörenden Duft zu etwas ganz Besonderem und Einmaligem. Der Duft unterstützt die Süsse und diese wiederum den Duft. Und der Alkoholgehalt bleibt tief, sehr tief sogar, bei 5 – 5,5%. Die Italiener meinen deshalb: un vino anche da colazione, den man sogar zum Frühstück geniessen kann. Und ich meine: Die Italiener haben manchmal einfach recht.
Das eigentliche Traumpaar heisst aber Moscato d’Asti und Panettone. Man kann den Moscato für sich allein geniessen, mit einem Flan, einer Crostata oder einer Tarte tatin, aber nichts reicht an den Genuss heran, ihn während der Festtage zum traditionellen Panettone auszuschenken. Mein Freund Oswaldo aus Mailand geht sogar noch einen Schritt weiter: Der Panettone muss vorher einige Minuten in den warmen Backofen gestellt werden, che si scioglie il burro, damit die Butter im Gebäck etwas weicher wird. Und dann ein kühles Glas Moscato dazu. Das ist der Himmel auf Erden! Wo denn sonst?
Annemarie Wildeisen: Über den Duft und den Geschmack des Moscato hast du nur ganz allgemein gesprochen, könntest du da noch etwas genauer werden?
Beat Koelliker: Ja, sicher: Zuallererst fällt einem auf, dass der Moscato intensiv wie kein anderer Wein nach der Traube duftet und schmeckt, aus der er gekeltert wurde. Wir kennen sie ja auch gut als Tafeltraube. Dann folgen die betörenden Aromen von Orangenschale, Birnen, Aprikosen und vielen süssen Blüten wie Glyzinien, Akazien und Rosenblätter. Im Gaumen rundet sich dieser ganze Duftstrauss durch die leichte Süsse zu einer wunderbaren Harmonie.
Dein Loblied auf den Moscato d’Asti kann ich gut verstehen, du stellst in deinem Artikel aber auch eine Warntafel vor dem Asti spumante auf. Warum das?
Die beiden Weine kommen mehr oder weniger aus der gleichen Gegend, werden aus der gleichen Rebsorte gekeltert und tragen beide den Namen der Gemeinde Asti auf dem Etikett, aber zwischen ihnen liegen Welten. Der Moscato d’Asti ist in der Regel ein handwerkliches und eher rares Produkt von sehr hoher Qualität, während der Asti spumante ein Industrieprodukt ist, bei dem es eher um Masse als um Klasse geht. Hugh Johnson, der berühmte Weinschriftsteller, meint daher zurecht, der Asti spumante sei «seinen DOCG-Status nicht wirklich wert».
Ich habe noch zwei Flaschen Moscato d’Asti vom vorletzten Jahr in meinem Keller. Was meinst du, sind die noch gut?
Also der Moscato d’Asti beeindruckt uns vor allem durch seine Frische und den unwiderstehlichen Duft. Beides sind sehr vergängliche Blüten, und daher ist auch der Wein eher nichts für längere Lagerung. Am besten trinkt man ihn im Jahr nach der Lese. Deine beiden Flaschen sind daher eher ein Grenzfall. Vielleicht hast du Glück, und sie haben die beiden Jahre ganz gut überlebt.
Mir ist aufgefallen, dass längst nicht alle Flaschen des Moscato d’Asti einen Drahtkorb haben, so wie wir uns das von den Schaumweinen eigentlich gewöhnt sind. Hat das einen Grund?
Ja sicher. Die Moscato-Flaschen haben einen Innendruck von weniger als 1 bar. Das ist wesentlich weniger als bei einer Flasche echten Schaumweins. Bei denen liegt der Innendruck bei 3,5–4 bar. Der Moscato enthält daher auch etwas weniger Kohlensäure, was man deutlich im Gaumen spüren kann.