




Theoretisches Wissen ist ja gut und schön. Was man unter veganer Ernährung versteht, weiss ich jedenfalls seit meinem Studium. Ich habe sogar einmal einen Kochkurs über vegane Rohkost besucht, als ich darüber einen Artikel schreiben durfte. Hat gut geschmeckt, und dass man aus Cashewnüssen etwas Ähnliches wie Käse herstellen kann, weiss ich seither auch. Auf tierische Produkte habe ich dennoch nicht verzichtet. Irgendwie doch zu einschränkend, wenn man nicht mal mehr Lederschuhe anziehen, ein Honigbrot oder ein Gummibärchen essen darf. Und einem feinen Rindsfilet konnte ich auch nicht wirklich widerstehen.

Aber jetzt hat es mich voll erwischt. Ich reite sozusagen mit auf der veganen Welle. Denn nun steht mein 20-jähriger Sohn vor mir in der Küche, schaut mir zu, wie ich Grosis Hackbraten zubereite und stellt dazu schwierige Fragen. Etwa, ob ich wisse, wie mein ökologischer Fussabdruck aussehe, wenn ich so was esse. Und ob ich das tatsächlich noch ohne schlechtes Gewissen tun könne.
Schliesslich sei doch, das sage ein Bericht der UN, eine Umstellung der Menschheit auf eine vegane Ernährung lebensnotwendig, um die Welt vor Hunger, Energieknappheit und Klimawandel zu retten.
Irgendwie klebt der Hackbraten ziemlich unangenehm an meinen Händen und ich erkläre dem ältesten meiner Söhne, dass es wichtig sei, mittels tierischer Lebensmittel genügend Vitamin B12, Proteine oder Eisen zu sich zu nehmen, um gesund zu bleiben. Er kontert, dass seine vegan lebenden Kollegen ja wohl kaum so blöd seien, kein Vitamin B12 zu supplementieren und dass auch Rucolasalat zusammen mit einem Glas Orangensaft recht viel Eisen liefere.
Ja, da hat er tatsächlich recht. Und allein ist er mit seiner Meinung auch nicht. Während früher vorwiegend junge Mädchen und Frauen vegetarisch lebten, holen die jungen Männer auf. Sie möchten etwas ändern, der Umwelt Sorge tragen und den Gedanken der Nachhaltigkeit verfolgen. Die Vegane Gesellschaft Schweiz geht davon aus, dass sich derzeit 80 000 Menschen in der Schweiz vegan ernähren, viermal mehr als vor zehn Jahren.
Wer so bewusst und gut informiert vegan isst, muss keine Angst haben, krank zu werden.
Vor allem nicht, wenn man männlich ist. Schwieriger sieht es nach wie vor aus, wenn man schwanger ist oder sich noch im Wachstum befindet.
Also spricht immerhin etwas für meinen Hackbraten. Und er schmeckt eben doch gut, irgendwie. Sojahackfleischimitat ist jedenfalls nicht mein Ding. Gibt es denn keine Alternative? Ein Hackbraten ohne schlechtes Gewissen, mit gutem ökologischem Fussabdruck? «Würdest du meinen Hackbraten essen, wenn ich ihn aus Insektenprotein zubereiten würde?», frage ich meinen Sohn. Schliesslich empfiehlt sogar die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO:
«Esst Insekten!»
Um den täglichen Bedarf an Protein, Eisen und Vitamin B12 zu decken, müssen Erwachsene nur gerade 100 Gramm Raupen verspeisen. Der ökologische Fussabdruck von Insekten als Nahrungsmittel ist deutlich kleiner als der von herkömmlichem Vieh. Die Menschen sollten sich also, so das Fazit des UN-Aufrufs, ans Verspeisen der mehr als 1000 essbaren Insektenarten wie Mehlwürmer, Grashüpfer, Dickpo-Ameisen oder Agavenraupen gewöhnen, auch in Europa. Mein Sohn grinst breit: «Aber ja doch, Mami, das würde ich sofort essen. Und du?» Hmmmmm … na ja … ich weiss nicht. Ich schaue ihm mal beim Kochen in seiner WG über die Schulter. Vegan gefällt mir irgendwie doch besser.
Fotos: iStock, Fotolia