Das sagte mein Vater immer, wenn jemand es wagte, seinen Wein zu kritisieren.
Zimmertemperatur sei für Rotweine ideal, sagt noch heute jeder Weinkenner, und meint damit etwa 22° oder mehr. Aber diese Temperatur ist sicher zu warm, da muss man meinem Vater einfach recht geben, denn da wirkt auch der beste Rotwein vor allem alkoholisch und brandig. Allerdings lag die «normale» Zimmertemperatur früher, als die Zimmer noch mit einem Kamin geheizt wurden, wesentlich tiefer. Und war daher tatsächlich ideal für gute Rotweine.
Bei den Weissen haben wir uns dagegen an die Kühschranktemperatur gewöhnt und die liegt meistens bei etwa 6° Celsius, selten auch etwas höher. Die ist perfekt, um ein schönes, frisches Bier zu lagern. Für einen normalen Weisswein ist sie aber ganz einfach zu kalt. Der Wein schmeckt dann eher nichtssagend, es fehlt ihm der auch bei Weissen so betörende Duft und damit sein Charakter.
Was ist also zu tun?
Es gibt einige einfache Regeln:
Erstens: 20° ist die oberste Grenze, auch für sogenannte schwere, also eher alkoholreiche Rotweine. Über dieser Grenze wird jeder Wein plump und marmeladig. Im Geschmack dominiert der Alkohol. Diese Regel gilt auch bei Aussentemperaturen von mehr als 30°, wie sie im Sommer auch bei uns gang und gäbe sein werden. Jeder Rotwein muss in diesem Fall kühl gestellt werden.
Zweitens: Grosse Rotweine (auch alte) werden bei etwa 18° nochmals deutlich besser. Etwas kühler (um die 15°) liegt die richtige Temperatur für einen normalen roten Tischwein. Das entspricht etwa der Kellertemperatur in einem modernen Einfamilienhaus. Es empfiehlt sich aber, den Wein etwa eine Stunde vor dem Einschenken zu öffnen. Leichte Rotweine, zum Beispiel ein Gamay, vertragen nochmals etwas tiefere Temperaturen. Also keine Angst! Bei diesen Weinen hilft nur der Kühlschrank!
Drittens: Weissweine vertragen Serviertemperaturen ab etwa 10°. Der Kühlschrank ist also nicht ganz falsch, wenn man die Flasche entsprechend rechtzeitig herausholt. Da lag mein Vater mit seiner Bemerkung, Weissweine würden immer zu kühl serviert, für einmal nicht ganz richtig.
Viertens: Jeder Schaumwein, ob Champagner oder Prosecco, muss eiskalt serviert werden. Höchstens 5° sind dafür ideal. Nur ein Eiskübel kann das erreichen.
Und fünftens: Man bedenke: Wein ist ein sensibles Wesen. Die entsprechende Serviertemperatur kann über Genuss oder Frust entscheiden. Damit jedenfalls lag mein Vater sicher richtig.
Annemarie Wildeisen und Beat Koelliker im Gespräch
Annemarie: Du schreibst in deinem Artikel über die unterschiedlichsten Temperaturen. Das ist ja alles sehr nützlich, aber wie messe ich diese? Es gibt ja keinen Fiebermesser für den Wein, oder doch?
Beat: Damit legst du den Finger genau auf das richtige Problem! Ich kann die Temperatur entweder von aussen mit einer Manschette messen und messe damit eigentlich nur die Temperatur der Glasflasche oder ich messe den Wein selbst. Dann muss ich aber die Flasche öffnen und einen Temperaturfühler in den Wein absenken. So oder so bleibe ich in einem Dilemma.
Und was mache ich jetzt?
Da hilft nur etwas Planung: Man muss die Flasche rechtzeitig in die entsprechende Umgebung bringen, in den Eiskübel, den Kühlschrank oder vom Keller in die Wohnung. Dann kann man sich auf die Manschette verlassen oder auf die Erfahrung.
Gut! Ich mache mich gerne daran, mir die entsprechende Erfahrung zu «erarbeiten» (schmunzelt). Eine ganz andere Frage: Du schreibst über alle Weine, ausser meine Lieblinge, die Süssweine. Was ist denn deine Meinung dazu?
Ja, da legst du den Finger gleich wieder auf ein schwieriges Problem. Süsswein ist nicht gleich Süsswein. Ein Sauternes oder ein Tokajer dürfen richtig kühl sein und damit meine ich 6° bis 10°, ein guter deutscher Süsswein darf etwas wärmer serviert werden (um die 13°) und ein Portwein, vor allem ein Vintage Port, kann seine reichen Aromen erst bei 16° voll entfalten.
Ich sehe, du weichst wieder auf die Erfahrung aus. Und ich bleibe dabei und «arbeite» weiterhin daran ... Du sprichst vor allem von der Wirkung von zu hohen Temperaturen beim Rotwein. Wie aber verhält es sich bei zu tiefen Temperaturen?
Ja, da muss ich für einmal nicht auf die Erfahrung ausweichen. Also, ein guter Rotwein lebt vor allem von seinem Duft und seiner Struktur. Beides kommt erst mit der Temperatur in das richtige Gleichgewicht. Ein zu kalter Rotwein wirkt steril, ihm fehlt der ganze Strauss an Düften und er wirkt zu tanninlastig und zu säurereich. Er zieht einem den Mund zusammen.
Und zu kalter Weisswein?
Da ist das Problem nicht so gravierend, weil sich der Wein im Glas ja erwärmt. Schwierig wird es bei einem zu warmen Weisswein, ihm fehlt einfach die Frische und er wirkt daher eher etwas plump.
Du hast recht, ich habe das häufig bemerkt, dass sich der Wein im Glas oder in der Flasche rasch erwärmt. Sollte man das beim Servieren nicht mitbedenken?
Doch unbedingt! Im Glas erwärmt sich der Wein im Nu um 2° oder sogar mehr. Der Wein in der Flasche darf also um mindestens 2° kühler sein.