Reisen
Zürcher Oberland kulinarisch: Idylle in Reinform

Das Zürcher Oberland erwacht aus seinem Dornröschenschlaf. Denn neben malerischen Landschaften hat die Region auch kulinarisch einiges zu bieten.
Manch eine Erkenntnis kommt im scheinbar banalen Gewand einer Redewendung daher. Etwa die, dass das Gute doch so nah liegt. Das passt bei kaum einer Region besser als dem Zürcher Oberland. Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint das erklärungsbedürftig, denn Herr und Frau Schweizer sind ja dafür bekannt, dass, wenn sie ihre Ferien nicht gerade im Mittelmeerraum verbringen, es sie eher bergwärts und damit in Richtung Alpen zieht. Aber ins Zürcher Oberland? Vielleicht sollten sie einfach mal hinfahren, denn das Gebiet der Bezirke Uster, Hinwil, Pfäffikon und das mittlere Tösstal ist erstaunlich vielseitig. Rund um Greifen- und Pfäffikersee ist es eher flach und leicht hügelig, oft auch mit geschützten Moorlandschaften und Drumlinen. Weiter östlich erheben sich die Berge des Oberlands mit Bachtel (1115 m ü.M.) in einer ersten Hügelkette und dem Schnebelhorn (1292 m ü.M.) und Hörnli (1133 m ü.M.) in der hinteren Kette auf der Grenze zum Kanton St. Gallen. Weit, äusserst grün und von malerischen Hügel- und Gebirgszügen durchdrungen, sodass man sich manchenorts eher im Idylle in Reinform französischen Zentralmassiv als in der Schweiz wähnt. Das erfreut nicht nur Wanderer und Aktivsportler, sondern auch kulinarisch interessierte Naturen.

Zürioberland Tourismus
Typische Zürcher Oberländer Landschaft: Der Lützelsee in der Nähe von Grüningen.
Ob Weinliebhaber, Picknicker oder Feinschmecker, für jeden ist etwas dabei, denn hier ist man sich des eigenen Reichtums an Spezialitäten bewusst und weiss diese auch in Szene zu setzen. Unter dem Label «natürli Zürioberland Regionalprodukte» gibt es Käse und Milchprodukte, Backwaren aus heimischem Dinkel, Eier, Fleisch, Fisch, Honig und sogar Pilze. Während der im September stattfindenden «Genusswoche» werden diese Köstlichkeiten regelrecht zelebriert: Da kann man erleben und lernen, wie etwa Rehfleisch mit Wildpflanzen oder allerlei vergessenem Herbstgemüse zubereitet wird; oder wie man selber Würste herstellt. Wer jedoch nicht bis zum Herbst warten will, zieht einfach gleich los, kauft sich einen «natürli-Gourmet-Pass» (erhältlich unter www.zürioberland-tourismus.ch) und kann in ausgewählten Restaurants drei gediegene 3-Gang-Abendessen – selbstverständlich mit Zutaten aus der Region – geniessen. Eines dieser Restaurants ist das «Schauenberg», malerisch in die Hügel gebettet und unweit des gleichnamigen Winterthurer Hausbergs. Chefkoch Christof Pannwitz, der sich zuvor als Gourmetkoch im Gasthof Harmonie in Thundorf einen Namen gemacht hatte, kocht hier mit dem Anspruch, in der Region die beste Qualität zu finden und diese so frisch wie möglich auf den Teller zu bringen. Das beginnt herrlich milchig-cremig mit einer Burrata auf knackigen Salatherzen, raffiniert gewürzt mit Holunder, Hanföl und knusprig gerösteten Hanfsamen.

Zürioberland Tourismus
Delikatessen aus dem Rauch: Spezialitäten von Patrick Marxer in Wetzikon.
Wir entscheiden uns für die Variante mit Fichte und liegen damit goldrichtig
Darauf folgt ein wunderbar fluffiger Butterzopfknödel mit Bergkäse, Austernpilzen und Vinaigrette; und als krönender Abschluss ein Ragout vom Freilandpoulet mit frischen Morcheln und weissem Spargel. Das dazu gereichte hausgemachte Brot ist dringend nötig, denn nur damit stellt man sicher, auch keinen einzigen Tropfen der höchst geschmacksintensiven Sauce übrigzulassen. Deutlich fleischlastiger, aber nicht weniger auf Saisonalität und Regionalität fixiert ist die Speisekarte im Bären Grüningen. Obwohl, von einer Karte im engeren Sinn kann man da eigentlich nicht sprechen – dem Gast warden zwei mannshohe Schiefertafeln an den Tisch gestellt, und da steht alles drauf, was die Natur und damit die Küche gerade zu bieten hat. Fleisch spielt im Bären eine besondere Rolle, da dank eigener Jagd ganzjährig Wildspezialitäten aus dem regionalen Umfeld und benachbarten Revieren angeboten und mit saisonalen Beilagen aus Wald, Wiesen und Wasser kombiniert werden.
In leuchtenden Farben und mit der Mannigfaltigkeit eines blühenden Gemüsegartens präsentiert sich der Siedfleischsalat vom Buregeissli auf Salatspinat, und noch einen Tick opulenter tritt der Bärensalat auf. An diesen Tellern kann man sich kaum sattsehen, wäre das Sattessen nicht die noch verlockendere Option. Und satt ist man nach dem Stroganoff vom Greifensee-Hecht und dem selbstgejagten Usterner Rehrücken an Kräutern alleweil – gut, für eine Glacekreation sollte man unbedingt noch Platz lassen. Denn hier zeigt sich erneut die enorme Kreativität, mit der man im Bären ans Werk geht. Da gibt es schon mal ziemlich originelle Kombinationen wie Steinpilz, Trüffel-Honig, Aprikose-Lavendel oder Marzipan-Curry. Wir entscheiden uns für die Variante mit Fichte und liegen damit goldrichtig: süss, würzig, fast ätherisch, wie die Späne einer frisch aufgesägten Tanne. Das ist so wunderbar ausgefallen wie es gut ist!

N. Bollinger
Ein schillernder Gemüsegarten auf dem Teller ist der Bärensalat im Bären Grüningen.
Ausgefallen mag es auch Patrick Marxer, der unangefochtene Gross - meister des Räucherns. Neben Würsten und Fisch räuchert er in seiner kulinarischen Werkstatt auch Kuhentrecôte, Nüsse, Ribelmais und Salz. Angefangen hat alles vor vielen Jahren in einer kalten Winternacht um die Weihnachtszeit: Patrick Marxer, enttäuscht über das Angebot an Rauchlachs, entschliesst sich kurzerhand, seinen eigenen Fisch zu räuchern. Mitten im Wald errichtet er ein Zelt, entfacht ein Feuer und räuchert bis zum Morgengrauen. Seither ist für den gelernten Laboranten nichts mehr wie zuvor – denn nun besteht seine Lebensaufgabe darin, gute Produkte noch besser zu machen. 2009 gibt Marxer seiner Raison d'être einen Namen: «Das Pure». Seit 2012 befindet sich seine Räucherei in Wetzikon, wo er in den Gemäuern einer alten Strumpffabrik seine Köstlichkeiten herstellt oder veredelt. Besonders seine Wurstschöpfungen ziehen Geniesser aus dem ganzen Land an. Bei Hot-, Duck-, Maibock-, Arven- und Sprossenwurst ist das wenig überraschend. Dabei ist Marxer in Sachen Kulinarik bei weitem nicht der einzige Pionier im Zürcher Oberland. Hinter den altehrwürdigen barocken Mauern des Benediktinerklosters Fischingen entsteht und gärt schweizweit Einzigartiges: Seit gerade einmal vier Jahren wird dort unter dem Namen «Pilgrim» das einzige echte Klosterbier der Schweiz produziert.
Nicht einfach irgendein Bier, sondern Gebräue der absoluten Spitzenklasse. Eigentlich logisch, denn eine der treibenden Kräfte hinter «Pilgrim» ist kein Geringerer als Martin Wartmann, der in der Brauerszene längst als Legende gilt; das berühmte Ittinger Klosterbräu etwa ist seine Schöpfung. «Wir brauen nicht viel Bier – wir brauen dafür ganz besondere Biere nach alten Rezepten», sagt Wartmann. Kleine Mengen, viel Handarbeit, aus natürlichen Rohstoffen wie Fischinger Klosterwasser, erlesene Malze, feinste Aromahopfen sowie Waldkräuter und Gewürze aus aller Welt – vergoren wird in offenen Bottichen und gereift in Champagnerflaschen mit Naturkorken. «Mit industriellen Brauereien lässt sich das nicht vergleichen», so Wartmann. Visitenkarte der Klosterbrauerei ist das sogenannte Bière d’Abbaye Triple mit ca. 10% Alkohol. Die Bezeichnung «Triple» erklärt nicht nur die dreifache Stärke des Bieres – man kann es auch als Hinweis nehmen für die Art der Gärung, nämlich im offenen Bottich, im Tank sowie im Fass oder in der Flasche. So erhalten die Biere ihre einmalige Perlage und den ganz besonderen Gout.
Man trinkt kein Bier zu gutem Essen». Von wegen!

N. Bollinger
Kreativität und Frische à la Schauenberg: Burrata auf Salatherzen mit Holunder und Hanf.
Das bernsteinfarbene, malzbetonte Ambrée hat eine feine Dörrobsnote, während das fein-trübe Blanche mit einer deutlich fruchtigen, an Orangen erinnernden Aromatik überzeugt. Ganz anders hingegen das Noir: schwarz wie die Nacht und nicht minder dunkel im Geschmack, mächtig schokoladige Röst- und Kaffeenoten. Die Fortsetzung der Triples sind Grand-Cru-Biere, Jahrgangs-Meisterbiere mit bis zu 15 Prozent Alkohol, die Monate benötigen, um ihr volles Aroma zu entwickeln. «Das ist etwas ganz Besonderes», sagt Martin Wartmann, «ein solches Bier lässt man am besten ein paar Wochen im Keller ruhen und reifen und geniesst es dann idealerweise aus einem bauchigen Weinglas.» Das klingt einleuchtend, denn eine Kreation wie beispielsweise das «Imperial Russian Stout» braucht Raum, um seine ganze geballte Wucht zu entfalten: Tiefschwarz und mit cremigem, dichtem Schaum entfaltet es an der Nase Röstnoten sowie Kaffee, Kakao, Branntwein und Dörrobst – ein Feuerwerk, das sich am Gaumen fortsetzt und in einem nicht enden wollenden Abgang sich vollendet. Klar, so etwas trinkt man nicht einfach zum Apéro. Wohl eher während eines Winterabends am Cheminée – oder zum Essen. «Man trinkt kein Bier zu gutem Essen», wird manch einer jetzt denken.
Hier ist man sich des eigenen Reichtums an Spezialitäten bewusst.

Pilgrim
Der Meister am Sudkessel: Martin Wartmann, eine der treibenden Kräfte hinter den Pilgrim-Bieren.
Von wegen! Zu erstklassigem Essen passt erstklassiges Bier geradesogut wie Wein: Ein Triple Blonde passt fantastisch zu Geflügel, Fisch oder Meeresfrüchten; ein Ambrée anstelle von Rotwein zu Steak und Braten ist eine fulminante Paarung. Martin Wartmann zückt einen riesigen alten Eisenschlüssel – ein lautes «Klick» ertönt und wir stehen im 300 Jahre alten Gewölbekeller, dem absoluten Sanktuarium. Hier lagert der grösste Schatz. Zwei Reihen französische Barriques, Fässer mit Geschichte: fünf Jahre voller Wein, dann bis zu zehn Jahren voller Sherry oder Porto, anschliessend viele Jahre mit Rum oder Whiskey gefüllt und nun bis ans Lebensende als Bierfass im alten Klosterkeller. In diesem einmaligen Raumklima reift die neuste Generation von Grand-Cru-Bieren während einem Jahr. Ostern 2019 wird abgefüllt. Das ist Spitzenklasse auf einem ganz neuen Level; Martin Wartmann nennt das ganz einfach «Gourmetbier».
Und wenn der Gourmet nicht bis zum nächsten Frühling warten möchte, bleibt ihm ja immer noch der «Löwen» Bubikon, das kulinarische Glanzlicht der Region und der Treffpunkt für Feinschmecker. Was Domenico Miggiano dort im «Apriori» serviert, ist dem Guide Michelin einen Stern und dem Geniesser mehr als einen Umweg wehrt. Kleine Kostprobe gefällig? Egal ob Hummer-Ceviche mit knackigem Fenchel und Tomaten-Tramezzino, Lötschberg-Egli auf Wasabicreme und Gurken-Rettich-Pickels oder Saiblingsfilet auf Kaisererbsen-Mole und Radiesli – alles perfekt austariert und ein grossartiges Spiel der Texturen. Ein lupenreines Wohlfühlgericht ist dann das Kaninchen-Saltimbocca mit einem Wachtelei-Bärlauch-Raviolo, dazu diese unglaublich luftige Sauce von der Belper Knolle, grosse Klasse! Ultra-klassisch dann der Hauptgang: Ein Zürcher Oberländer Kalbsfilet mit grünem und weissem Spargel, frischen Morcheln und Kartoffeln. Und gerade in dem Moment, als man sich fragt, ob ein solches Gericht seine besten Zeiten denn nicht längst hinter sich hat, also schon fast als veraltet oder im besten Sinne als «retro» durchgeht – dann folgt der erste Bissen und die Erkenntnis, dass das jetzt der Höhepunkt war. Ja, klassisch, aber auch nahe an der Perfektion. Witzigerweise stammen bei diesem Gang fast sämtliche Zutaten aus der Region. Und urplötzlich ist er wieder da, dieser banale Spruch: «Das Gute liegt so nah.»

Pilgrim
Einmalig: Im alten Klosterkeller reift bei Pilgrim die neuste Generation von Gourmetbieren in gebrauchten Barriques. Ostern 2019 wird dieser Schatz abgefüllt.

Redaktion KOCHEN